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3. Rosa Lehmann 1909vgest. 2004)OIünchner Zimmerwirtin von
Georg Elser]

Rosa Lehmann
Rosa Lehmann

„Ruiniert hat er unser Leben, der Elser“, sagt Rosa Lehmann und kämpft mit den Tränen. Mit achtzehn kam sie vom Land nach München, mit finfundzwanzig lernt sie in den Bergen ihren späteren Mann, den Alfons Lehmann, einen Polsterer und Tapezierer kennen. 1938
wird geheiratet. Zuerst wohnen sie noch in einem Kammerl bei seinen Eltern in der Amalienstraße, dann erfahren sie von einer leeren Wohnung in der Türkenstraße 94. Rosa geht zum Besitzer, der Baufirma Liebergesell,und sagt, dass sie die Wohnung gern hätten. Er antwortet, .dass sie die aber so nehmen müssten, wie sie sei. Er müsse sie nur vorher desinfizieren. Als die Lehmanns Freunden erzählen, sie hätten jetzt eine Wohnung, werden sie gefragt wo. Der Türkenstraß& geben sie Auskunfti „Was, in der heißt es dann. Vier Wochen stehen sie auf Leitern und renovieren die Wohnung. Sie hat dreieinhalb Zimmer, davon müssen zweieinhalb vermietet werden. Sie kostet 72 Mark. Das „halbe“ Zimmer ist eine Kammer neben der Küche mit hohem,_ schmalem Fenster und Blick auf den Hof.

„Da hab‘ ich dann das Taferl ’nausghängt, dass ab so und sÖGeltem was zu vermieten sei. V Mein Mann hat noch gesagt: ,Schau‘ dir die Leut gut an.‘ Aber, mei, hineinschauen kann man in niemanden. Man hat die Leute genommen, wie sie gekommen sind. Man hat vermieten müssen. Man hat nicht sagen können, jetzt schau‘ ich mir erst zwanzig, dreißig an und dann nehm‘ ich einen. Sie können nicht hineinschauen in die Leute, was drin ist, was er macht und was er tut. Da ist er gekommen, der Herr Elser, hat gesagt, er sei Kunstschreiner und Erfinder. Mei, da hab‘ ich ihn genommen. Da ist er bei uns eingezogen in das Zimmer.

Einen Haufen Kisten hat er gehabt, schöne Kisten, wahrscheinlich selber gemacht. Und meinen Mann hat er gefragt, ob der ihm nicht helfen würde, die Kisten in den Keller zu tragen. Was nimmt denn der so ein kleines Zimmer, wenn der so einen Haufen Zeugs hat, hat mein Mann gemeint und die Kisten hinuntergetragen. Da

s war im August 1939. Mein Mann hat ihn immer einen ,Häuslschleicher‘ genannt, so einer, wo immer herumschleicht. Plötzlich ist er vor der Tür gestanden. Du hast nicht gewusst, ist der jetzt vom Boden heraufgekommen oder, zum Teufel, wo sonst her? Er hat die Kammer nah‘ der Wohnungstür gehabt und ist ganz leise gegangen. Fast drei Monate lang, mein Gott! Die Kammer war klein, da hat gerade ein Bett, ein Nachtkastl und ein Schreibtisch drin Platz gehabt. Dahinter hat er seine Sachen hängen gehabt. Vier Mark in der Woche hat er gezahlt. Ich habe mich nie um den Mann gekümmert. Ich bin keine von denen, wo den Leuten hinten nachschaut. Vielleicht wär‘ es besser gewesen. Ich hab’s aber nicht gemacht. Alle Zimmer in der Wohnung waren offen, weil ich hab‘ ja die Betten richten und die Zimmer saubermachen müssen. Darum hat man ja vermietet, darum hat man ja Geld bekommen… Eines schönen Tages, wo ich gerade die Kammer aufgeräumt hab‘, seh‘ ich da einen Akkumulator am Fenster stehn.

Was braucht der einen Akkumulator?, Komisch ist‘ s schon, ‚ hab‘ ich meinem Mann gesagt—geh‘ einmal rüber und schau’s dir an! ‚Und am Schreibtisch stand eine Uhr, die war irgendwie eingestellt. Mein Mann hat sich also den Akkumulator und die Uhr angeschaut, dann mich, dann hat er gemeint: ,Der wird doch nicht eine Höllenmaschine bauen! Da haben wir beide recht gelacht und sind hinausgegangen. Damit war der Fall erledigt. An einem anderen Tag, wo ich gerade in der Kammer aufräumen will, liegt der Elser noch im Bett. Der ist gut, denk ich mir, flackt am helllichten Tag noch im Bett. Einen Knieschwamm hätte er, hat er gesagt. Wahrscheinlich vom vielen Knien in den Nächten, wo er das Dings im Bürgerbräukeller eingebaut hat. ,Was machen wir jetzt mit dem?‘ hab‘ ich meinen Mann gefragt: ,Mei‘, hat der gesagt, ,verhungern können wir ihn auch nicht lassen. Bring‘ ihm halt eine Supp’n ’nüber!‘ Die hab‘ ich ihm dann gebracht und bald drauf ist er aufgestanden.

Am 12. Oktober bin ich ins Rote Kreuz zur Entbindung, da ist der Bub, der Peter, geboren. Es war eine schwere Geburt und ich hab‘ vierzehn Tage dortbleiben müssen. Da hat der Elser freilich freie Hand gehabt. Mein Mann war tagsüber im Geschäft, bis sechs Uhr abends und am Samstag bis zwei nachmittags. Am 15. Oktober hat er mich besucht und gesagt: ,SteII‘ dir vor, der Elser hat gekündigt!‘ Damals hat man noch vom 15. auf den ersten kündigen können, umgekehrt nicht. Das ist ja praktisch, dachte ich mir, ich da herinnen und kann niemanden suchen und der Elser zieht aus. ,Reg‘ dich nicht aur , sagte mein Mann, ,wir finden schon jemanden!‘ Das, wenn wir gewusst hätten, dass der bloß so kurz bleibt, da hätten wir ihn vielleicht gar nicht genommen.

Aber so ist’s, man kann nicht in die Leute hineinschauen! Am I. November war er dann ausgezogen mit seinen vielen Kisten. Wohin, wussten wir nicht. Wir haben ja praktisch nie ein persönliches Wort miteinander gesprochen. Wir hatten unsere Sorgen und er den Kopf voll mit seinen Sachen.“ Am Tag nach dem Attentat von Elser auf Hitler im Bürgerbräukeller hört Rosa Radio. Da heißt es dann, dass ein gewisser Herr Elser an der Schweizer Grenze erwischt und verhaftet worden sei. Als der Fonsi heimkommt, schlägt sie ihm vor, der Gestapo zu sagen, dass der Elser bei ihnen gewohnt habe. Das tat er, damit war die Sache für die Lehmanns erledigt. Nicht so fir die Gestapo.

Ein paar Tage später wird Alfons abgeholt und ins Gefängnis im Wittelsbacher Palais, inzwischen Gestapo-Zentrale gebracht. Rosa wird tagtäglich verhört, ist so aufgeregt, dass sie ihren Buben nicht mehr stillen kann. Er schreit die ganze Nacht. Täglich bringt sie frische Wäsche ins Palais, nimmt die gebrauchte mit. Einmal fragt sie, wie lange er denn noch bleiben müsse, der Fonsi, und bekommt die Antwort: Das würde in Berlin entschieden, das könne Monate, ja Jahre dauern. Inzwischen versammeln sich Leute gegenüber vom Haus in der Türkenstraße 94 und deuten nach oben: hat er gewohnt! « „Man war richtig stigmatisiert‘ Auch die anderen Mieter w&rden verhört, nur die Eine nicht, die in der Osteria in der Schellingstraße immer den Hitler bediente. Rosa wird auf Schritt und Tritt überwacht. Kein Besucher kam mehr, alle hattenKngst. Rosa fragt sich, wie sie mit dem Kind überleben könne, jetzt da Fonsis Wochenlohn abgeht. Man rät ihr, zum Wohlfahrtsamt zu gehen, da bekäme sie Geld, das sie aber wieder zurückzahlen müsse.

,Jch hatte keinen Hunger mehr, bin täglich dünner geworden.“ Kurz vor Weihnachten jedenfalls steht der Fonsi vor der Tür „ganz derdadert*. Redet kein Sterbenswort, sonst würde er erschossen, erklärt er. „Die ganzen Scherereien wegen dem Elser da! Ich hatte so eine Wut im Bauch.“ 1940 wird Alfons vom Gefängnis direkt an die Ostfront geschickt, 1944 von Partisanen ermordet. Zwischendurch war er ein paarmal beim Fronturlaub zuhause. Rosa ist wieder schwanger, im Februar 1945 wird ihre Tochter geboren, ohne dass sie etwas von ihrem Mann weiß. Ohne Totenschein keine Rente. Es findet sich aber ein Kriegskamerad, der notariell mr 23 Mark den Tod von Alfons bestätigen kann. Rosa muss ihr Wohlfahrtsgeld trotzdem auf Heller und Pfennig zurückzahlen.

In den nächsten Jahren ist sie auf Einödhöfen evakuiert, wo die Bauern es garnicht gern sahen, dass der Bub so „suachert“ war, neugierig, immer auf der Suche. Als es • t,‘ die Amerikaner seien da, fährt sie mit einem „Holzvergaser’* heim in die Türkenstraße 94. Gegenüber, beim Kaisers Kaffee, war eine Bombe eingeschlagen und hatte ihre Wohnung mitzerstört: keine Heizung, keine Fenster. Täglich musste Holz gesammelt werden. Ein Glück, dass Rosa als Mieter den Herrn Schlesinger hatte, den späteren Bundesbankpräsidenten, der war nämlich Glasermeister und organisierte die Fensterscheiben. Inzwischen war ein langer Brief von Elsers Bruder aus Königsbronn angekommen, den Rosa aber zerriss.

Sie hatte so die Nase voll von dem Ganzen. Wird aber wieder daran erinnert, als es um die „Weiße Rose“ und ihre Flugblattaktionen in der Uni ging. Sie konnte so mit den Familien mitfühlen!
Nazis seien sie nie gewesen, sagt Rosa. Eher Gegner. Vielleicht habe ihnen ja auch ihr Glaube geholfen. „Trotzdem: Die Angst, die Unsicherheit und das Finanzielle! Das bleibt in einem drin. Bis heute. Hat tatsächlich unser Leben ruiniert, der Elser!“

Rosa Lehmann und OB Ude (in der Mitte: Hellmut Haasisr, 1999 auf dem Georg-Elser-Platz 43)
Rosa Lehmann und OB Ude (in der Mitte: Hellmut Haasisr, 1999 auf dem Georg-Elser-Platz 43)