Menü Schließen

18. Prof. Peter Steinbach, (*1948), Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin

Bereit zur Gewalt — aus Verantwortung

Peter Steinbach
Peter Steinbach

Am 8. November 1939 hätte der Lauf der Weltgeschichte, die im Banne des wenige Wochen zuvor begonnenen Überfalls auf Polen stand, eine Wendung nehmen können, welche der damals lebenden Menschheit viel Leid als Folge kriegerischer Zerstörung, deutscher Besatzungshet•rschaft. Vernichtungslagern, Völkermord, Kriegsgefangenschaft, Bombardierung der Städte, Vertreibungen, Spaltung Europas hätte ersparen können. Die Kriege der Zwischenkriegszeit im Fernen Osten, in Äthiopien und während des spanischen ßOtgetKrieges hatten deutlich gemacht, welche Folgen ein ideologisch legitimierter Krieg halten musste.

den Weltanw•hauungsdiktaturen anzettelten. Nfit dem Attentat, das den NanE11 des Münchner Bürgerbräukellers in das Gedächtnis der Nachlebenden einbrannte, wollte «Hitler und üihrende Paladine töten. Er kam seinem Ziel denkbar nahe, fiinf Jahre vor dem Attentat des 20. Juli 1944. Seine Tat erschien selbst Gegnern NS- Staates so unwahrscheinlich, dass sie Elser, ,dem wahren Antagonisten “ Hitlers, seine Tat lange Zeit nicht zuschreitxn konnten und wollten. Noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte man den Schreiner, der fast mnf Jahre in absoluter Isolierhaft musste, zu einem Werkzeug der SS machen wollen und ihn damit nicht nur, wie Jahre zuvor die Nationalsozialisten, seiner Tat Diese hatten ihn zu einem Agenten des britischen Geheimdienstes machen wollen.

Erst in den sechziger Jahren konnte dieses entwürdigende Fehlurteil, das weniger Elser, als vor allem dessen uneinsichtige Verleumder charakterisiert, korrigiert werden. Die Vernehmungsprotokolle der Gestal.X) wurden ediert und kommentiert. Sie machen deutlich, dass Elser seine Tat hatte, weil er den Nationalsozialismus und seine Führungsschicht nicht nur ablehnen, sondern aktiv bekämpfen und auf diese Weise im letzten Moment den schicksalhaft eingeschlagenen Weg der Welt in die Kriegskatastrophe mit allen Auswirkungen fiir das Zusammenleben der Menschen und Völker wenden wollte.

Elser hatte aus vielschichtiger Motivation gehandelt und über lange Zeit hinweg sein ganzes Sinnen und Trachten auf die Ausschaltung Hitlers gerichtet. Er war so nicht nur der „Antagonist“ des deutschen Diktators geworden, sondern hatte nicht zuletzt den politischen Eliten vor Augen gefiihrt, was möglich war, zu einem Zeitpunkt, als d

iese noch versuchten, durch eine entschlossene Haltung der europäischen Regierungen Hitler und seine Führung zu Nicht wenige Regimegegner aus bürgerlich-militärischen Kreisen setzten, heute geradezu unvorstellbar, auf Hermann Göring als Alternative zu Hitler. wollte den deutschen Diktator durch seine Tötung Rir allezeit ausschalten. ist deshalb nicht nur als Antagonist, als Gegenspieler Hitlers zu sondern als einer der wenigen „wahren Protagonisten“ eines zum Einsatz des eigenen Lebens entschlossenen
Widerstands zu bezeichnen, die es zu dieser Zeit in aussichtsreicher Position in Deutschland gab.

In den vergangenen Jahren hat sich ein neues Bild von Elser erg&n. Es ist vor allem der Verdienst des bürgerschaftlichen Engagements kleiner Initiativen historisch interessierter und um ein gerechtes Urteil bemühter Menschen in Elsers Geburtsort Königsbronn, in Heidenheim und Umgebung, vielleicht auch einer historischen Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wenn die Verzeichnungen von Elsers Person und Tat korrigiert wurden. Inzwischen gibt es nicht nur Gedenktafeln und eine kommunale Elser-Gedenkstätte, sondern sogar einen Georg Elser-Preis, der erstmals in diesem Jaff in München verliehen wird, um Menschen auszuzeichnen, die den Mut und die Kraft Zeichen der Nonkonformität, also der Zivilcourage zu setzen. Vergessen ist damit der entwürdigende Streit, den vor zwei Jahren ein „klügelnder“ Chemnitzer Privatdozent mit seiner Antrittsvorlesung entfacht hat.

Dieser hatte Elser der Verantwortungslosigkeit geziehep, weil sein Anschlag auf Hitler Unbeteiligte die sich zufillig im Bürgerbräukeller aufhielten. Die neuen Zweifel an Elser sollten nicht arhr historisch, sondern moralphilosophisch begründet werden- Elser warf man vor, dass er sich  icht selbst geopfert, UntEteiligte verletzt und sogar deren Tod in Kauf genommen hatte. Man ütErsah, das« die Tat vor allem als eine Reaktion auf die nationalsozialistische Politik und auf die durch sie legitimierte Entrechtung von immer nrhr Menschen, ein Jahr nach dem Novemberpogrom des Jahre 1938, und auf den Beginn eines Weltanschauungskrieges zu deuten war.

Kritiker der fundamentalen Infragestellung riskanten und verzweifelten Versuches, den Diktator und Verbrecher an der Macht eines auszuschalten, wurden geradezu in die Nähe jener gerückt, die terroristische Gewalt als ein Mittel der Politik rechtfertigten Es ist zu erwarten, dass angesichts der Konfrontation der Welt mit einer ganz neuen Form terrorisierender Gewalt, die im Anschlag auf die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center und auf das amerikanische Verteidigungsministerium vom 11. September 2001 gegipfelt hatte und den Tod von mehr als Menschen bedeutete, die Schwierigkeiten nicht geringer werden, Elsers Tat zu Der Schreiner Johann Georg Elser war kein Terrorist, der eine Gsellschaft durch Massen-terror erschüttern wollte. Denn seine Tat richtete sich gegen Hitler und seine Führungsclique als einen der größten Terroristen an der Macht, den es damals gab. Hitler ist nicht zu relativierem auch nicht durch Stalin, den zweiten großen und verbrecherischen Diktator.

Unbestreitbar ist, das Elser den Terrorismus in Deutschland mit einem Schlag wollte. Deshalb griff er zu dem letzten ihm denkbaren Mittel der Gewalt. Elser wusste, dass er auf diese Weise Schuld auf sich nehmen würde. Dies tat er nicht aus ideologischer Verblendung oder einer Machtphantasie, gar aus dem vermessenen Wunsch heraus, in die Geschichtsbücher einzugehen. Sondern er sich zu seiner ganz individuellen Verantwortung fijr die ,Jrrwege“ deuts&r Politik, die sich schließlich zur ,deutschen Katastrophe steigerten. Er setzte ein Zeichen gegen eine verbrecherische Politik. so nahm er Schuld auf sich, weil er Verantwortung zu titErnehmen hatte, ganz unabhängig davon, ob ihn dies Eelastete und geRihrdete. Wenn er nach der Vorbereitung des Anschlags versuchte, in die Schweiz zu entkommen, dann tat er dies nicht, weil er feige war, sondern weil nur die Flucht die Chance eröffnete, Unschuldige vor einer blinden Verfolgung durch die nationalsozialistischen Machthaber zu Elser bekannte sich zu seiner Verantwortung und zu seiner Tat.

Damit unterschied er sich von vielen Parteigängern des nationalsozialistischen „Regierungs-Terrorismus“ an der Macht, die immer wieder hatten, lediglich Befehlen gefolgt zu sein und sich zu einem Eid ohne sich zu fragen, ob ein „verratenes Volk“ nicht gerade zu einem untEdingten Befehlgehorsam, der sich nicht selten aus Angst und Karriereehrgeiz noch zusätzlich verraten würde, Der eigentliche Verräter an Deutschland und der Zivilisation, zu der man sich bis 1933 bekannt hatte, hieß Hitler,• – . verstanden, was es fir einen Schreiner tRdeutet hatte, eine geradezu unvorstellbare Verantwortung auf sich zu nehmen, mr eine Tat, mr die des sorgültig Attentats, fiir seine engsten Ange- hörigen — seine Mutter, seine Geschwister, seinen Sohn — die Elser in dem verbrecherischen System zurücklassen musste, das er mit seinem ganzen ihm möglichen Einsatz Elser war kein Terrorist sondern ein Widerstandskänvfer Dies wussten die Nationalsozialisten. Sie stellten einen Zusammenhang her, den die deutsche Nachkriegsgesellschaft nicht anerkennen wollte.

Denn sie ermordeten Elser am 9. April 1945, wenige Wochen vor dem Ende des NS-Staates, am selben Tag wie Bonhoeffer, Canaris, Sack und Dohnanyi. – . Elser starb zur gleichen Zeit wie Bonhæffer, deshalb möchte ich versuchen, diese Stunde zu nutzen, um auch eine geistige Verbindung zwischen diesen bedeutenden Gegnern des NS-Staates herzustellen. Trifft auf Elser nicht zu, was Bonhoeffer in einer der dichtesten Schilderungen seiner Erfahrungen mit der Diktatur in seiner kleinen Skizze , Nach zehn Jahren“ ausgedrückt hat? Hier finden wir auch den Satz, mit dem ich schließen möchte. „Was steckt“, so fragte Bonhoeffer, „eigentlich hinter der Klage die mangelnde Zivilcourage?“ In diesen Jahren, so fuhr er fort, man „viel Tapferkeit und Aufopferung, atEr fast nirgends Zivilcourage gefunden“. Dies sei nicht „Ausdruck Feigheit“, sondern die Folge einer spezifischen Tugend der I>utschen, ihrer „Kraft zum Gehorsam“.

Wenn Sinn und Größe unseres 1.-&ns aber in der Unterordnung persönlicher Wünsche und persönficner Gedanken unter einen „uns gewordenen Auftrag“ liegen sollen, dann bleiben die Blicke nach oben gerichtet, nicht in sklavischer Furcht, sondern im „freien Vertrauen“ in „Beruf und Berufung“. Lieber dem Befehl von als dem eigenen Gutdünken zu folgen, dies führe dazu, Gehorsam in Verbindung mit dem „Äußersten an Tapferkeit und zu rücken. Freiheit werde so: Freiheit vom Eigenwillen…