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2. Charlotte Neumaier (1921″), Küchenmädel im Bürgerbräu

Da kann ich nur sagen: „Respekt!“

Charlotte Neumaier 2005 in der Münchner Seidlvilla
Charlotte Neumaier 2005 in der Münchner Seidlvilla

Charlotte Neumaier, Küchenlehrlingeim Bürgerbräukeller am 08.11.1939, dem Tag des Attentats von Georg Elser. Adolf Hitler spricht 21 Uhr. Charlotte Neumaier 2005 in der Münchner Seidlvilla „Da bin ich zu meiner Chetköchin, der Maria, hin und hab‘ gesagt: „Ich möchte nur mal
kurz nausgehn und Vunterschaun, dass ich sie einmal alle siehe und sie hat mich lassen. Nur wissen hat’s niemand dürfen, auch Frau Payerl nicht, die Frau vom Chef. Da bin ich dann schnell abgehaut, • us,die Treppenhoch, da war alles abgesperrt. „Was willst denn Du mit Deine haben mich die Wächter geunterschauen vom Balkon, hab‘ ich gesagt, dann lass’mer’s schnell* , hat der eine zum andern gesagt, *die geht eh glei‘ wieder!‘

Da bin ich dann hinter dem Pfeiler gstandn, wo das eingebaut war und half nuntergschaut, bis plötzlich so eine Unruhe entstanden ist, so Geräusche wie von Kabel und der Hitler dann auf einmal die Rede abgebrochen hat und verschwunden ist. Ganz enttäuscht waren alle, die alten Kämpfer, weil normal hatte er sich noch zu ihnen hingesetzt. Jeder hat gemunkelts was ist denn los? Dass der so ruckizucki gegangen istz Und ich bin gleich die Treppen runter und in die Küche neigsaust, damit ich nicht abgeh‘. Weil ich hab‘ gwusst, wenn der weg ist, wird’s Essen ausgebn. Und da hab ich ja auf meinem Posten sein müssen. Wie ich dann in die Küche neikomm‘ , ist die Bombe lospg%ggn und hat mich mit Wucht an den Aufzug, wo wir die Speisen zum ersten Stock hinaufgefahren haben gehauen.

Aber wie ich gemerkt hab‘, dass mir nix fehlt, dass ich aufstehn kann, dass ich Gott sei Dank mit dem Leben davongekommen war, aber das hab‘ ich erst später bin ich hinaus auf den Flur, wo ein großes Gedrängel war. Die Menschen, die rausgekommen waren, haben ausgesehen wie Außerirdische wegen dem roten Ziegelstaub und dem vielen Blut. Ich bin gleich weitergerannt zum Haupteingang in der Rosenheimer Straße und habe geschrien: ,Bomben, Bomben, Fliegerbomben!$ Weil was anderes hab‘ ich mir nicht vorstellen können. Weil kein Mensch denkt doch an ein Attentat. Bei uns im Haus! Das war ein Ding! Im *Völkischen Beobachter* ist dann auch gestanden: *Blutjunges Mädchen kam zum Ausgang gerannt und schrie: Fliegerbomben! Fliegerbomben! e Achtzehn war ich damals, im dritten Lehrjahr, ein blutjunges Madl eben.

Ich bin dann gleich wieder zurück, wollt auch ein bisschen behilflich sein, Wasser tragen oder so. Weil überall hams t Wasser!+ gschrien. Das Rote Kreuz ist schon gleich da gewesen. Und ich hab‘ geholfen, den Leuten den Staub vom Gesicht wischen. Ich hab‘ ein großes Glück gehabt, weil mich hat ein Schutzengel, wo der Hitler gegangen ist, in dem Moment hat mich ein Schutzengel beim Arm gepackt und gesagt: fNunter! Geh‘ sofort Das hab ich lang nicht kapiert, dass ich so kurz vorm Tod eigentlich war.
Weil ich bin ja direkt am Pfeiler gestanden, wo der Elser seine Bombe eingebaut hatte. In dieser Nacht hat sich dann alles verlaufen, das Personal vom Bürgerbräu, man hat nichts voneinander gewusst, einer ist hü und einer hott… In der Früh‘ bin ich dann zum Gartengrundstück vom Bürgerbräu, wo ein großes Haus fiirs Personal war und wo ich auch ein Zimmer gehabt hab‘.

Da hab‘ ich dann die Hilde, meine Kollegin getroffen: *Mein Gott, wo warst Du, als es passiert ist? Wie geht’s Wir haben uns fest in den Arm genommen. Die anderen Büfettdamen waren nicht da, aber der Andreas Payerl ist gekommen, der Chef: Wo seid ’s denn alle? Wir müssen doch aufräumen! «Und bevor wir haben anfangen können, ist die Tür aufgegangen und die SS ist gekommen und hat uns verhaftet und gleich mitgenommen. Zuerst die Hilde und mich. Wir sind dann getrennt worden, haben uns erst im Gefängnis in der Ettstraße wiedergesehen, in einer Zelle. Da haben wir uns wieder umarmt und furchtbar geweint.

Die Nerven sind einem natürlich schon durchgegangen, weil wir ja nichts getan hatten. Dann ist die erste Verhandlung gekommen im Wittelsbacher Palais. Ein Riesensaal und ich allein und unerfahren, wenn man sich das vorstellt, wahnsinnig! Da sitzt dann so ein hoher SS-Mann voller Auszeichnungen und sagt, ich solle vorkommen. Und da seh‘ ich einen roten Zettel, der aus einer Akte heraushängt wo draufsteht: *Mitwisserin*. Da ist bei mir der Groschen gefallen, *Mitwisserin der Attentats*.l Und der fragt mich dann ganz locker: jetzt redenfS halt, wie hat der Elser da hinten reinkommen * Was stellen Sie sich denn vor? Es war doch immer alles . kö Ahnuiig gehabt, fürso was gab’s doch den Hausmeister mit Hund ch hab wirklich eine Da hab‘ ich dem ganz frech auf bayrisch gesagt: *Ja, mein Gott, wieso habt’s Ihr net besser aufpasst? Wie hätten wir als Personal das wissen können? Was da hint‘ im Saal passiert?

Wo wir doch die Küche haben eigentlich nicht verlassen dürfen und wo der Arbeitsbereich bis nunter zum Keller ging?‘ Aber sie haben mich weiter verhört.
Ein anderes Mal, wo sie mich zum Wittelsbacher Palais gefahren haben, da hab‘ ich ein Auto gesehen, das hat ausgesehen wie ein privates Taxi und da ist jemand dringesessen. Sie haben mich ganz allein dorthin gehen lassen und ich hab‘ den Mann gefragt: „Sie auch? e Weil der war so angezogen wie das Personal vom Bürgerbräu und das waren ungefähr 200 Leute. Ich habe ihn nicht erkannt. „Ja+, hat er gemeint, um ihn stünd‘ es schlecht, er habe alles verloren. Dann haben sie mich wieder zum Verhör geholt. Das war dann der Elser. Wahrscheinlich haben sie mich testen wollen, ob ich ihn nicht doch kenn‘, von wegen „Mitwisserschaft“. Aber das alles ist mir erst später aufgegangen.

Weil Mitwisserin eines Attentäters, das wär glatt ein Todesurteil gewesen. Da wärst nach Stadelheim gekommen und erschossen worden. Der Elser, was ich so mitbekommen hab‘, weil ich war ja keine Bedienung, die Bedienung hat sich sehr wohl an ihn erinnern können, der Elser hat immer einen seriösen Eindruck gemacht. Sehr zurückhaltend war er, nicht gesprächig. Hat sich auf nichts eingelassen. Wollte halt auf Nummer Sicher gehen. Er hat}iiiimer so ein billiges Tellergericht gegessen. Ich glaub‘, das hat eine Mark gekostet mit Gemüse und Fleisch… Jetzt noch einmal zurück ins Gefängnis. Das waren furchtbare Tage in der Löwengrube, weil die Hilde, ich hab gemeint, sie verliert die Nerven.

Immer wieder hat sie das Weinen angefangen, *Wir haben doch nix gemachte, da hab‘ ich gedacht, die musst aufheitern und war ganz lustig. *Jetzt tun wir turnen“ hab‘ ich gesagt und einen Handstand gemacht, mit den Füßen an die Gefängnistür. Da sind’s dann gekommen mit ihren Schlüsseln und haben wer weiß was gemeint. Nach acht Tagen sind wir vor ins Büro gerufen worden: TSie sind jetzt frei, Sie können Ihre Sachen nehmen und gehen unter der Bedingung, dass Sie kein Sterbenswort erzählen.‘ Sonst würden wir sofort zurückgebracht. Jede hat zur Entschädigung 200 Mark bekommen.

Danach hab‘ ich ein halbes Jahr lang einen Verfolgungswahn gehabt. Immer wenn ich einen Mann mit einer Aktentasche gesehen hab‘, hab‘ ich Herzklopfen gekriegt. Da ist die Angst gekommen:, Um Gottes Willen, geht es etwa wieder los? ‚Ja, so war das. Und da ist mir aufgegangen, dass der Vater doch Recht gehabt hat, wo er von Anfang an gewarnt hat: *Lasst euch nicht mit dem ein, dem Hitler, der kommt vom Teufel, das ist der Mit 16 kam ich aus der Klosterschule in die Kochschule beim Bürgerbräukeller. Ich hab‘ mich richtig hineinkniet, ich war fleißig und bald auch richtig angesehen. Beim Payerl, dem Chef, hatte ich eine echte Vertrauensstellung, wenn der beim Geldzählen am Abend war, Berge von Geld,und wenn er weggemusst hat, hat er bloß gesagt: „Mach halt weiter, Lotte!’C

So war das. Ich bin praktisch im Schoß der Familie aufgenommen worden. Weil ich so gelenkig war, war ich auch schnell, viel schneller als die anderen. Dann war ich ehrgeizig, ein richtiger Widder eben. Ich hab‘ mir immer gedacht: Das hältst jetzt durch bis 21, dann kannst eh‘ machen, was Du willst!‘ Ich hab’s auch durchgestanden bis zu diesem berühmten Novembertrag 1939, dem Tag vom Attentat. Da war ich achtzehn. Im dritten Lehrjahr. Die zwei Jahre zuvor hab‘ ich das schon mitgekriegt/wie der Adolf Hitler mit seinem ganzen Generalstab und den Blutordensträgem den 23-er Putsch gefei er da war ich immer in der Küche. In dem Jahr wollt‘ ich ihn aber einmal reden sehen, weil die vielen Essen waren schon fertig, aber niemand hat essen dürfen, bevor der Adolf Hitler mit seiner Rede fertig war.

Ob ich damals vom Hitler begeistert war? Mein Gott, ich war ja noch so jung! Natürlich hab‘ ich ein Interesse gehabt an dem, was er sagt und was er tut. Uns hat das schon imponiert. Und ich hab‘ den Aufschwung ja so richtig mitgekriegt. Weil vorher waren alle Väter arbeitslos, keiner hat sich ein Schulbuch kaufen können. Und Hunger hams gehabt. Dann kam die Wehrmacht mit ihrer Gulaschküche und hat Essen ausgeteilt. Direkt dankbar war man da. Der Bruder und ich sind mit dem Milchkannerl hin und haben uns was geben lassen. Es war eine ganz große Not. Und auf einmal ist alles anders gewesen: Die Männer haben Arbeit gehabt, die Frauen sind gut versorgt worden, die Kinder zur Landverschickung gebracht.

Dass er die Autobahnen gebraucht hat fiir seinen Durchmarsch, das haben wir ja nicht gewusst. Wir haben nur gemerkt, dass wir singen und wandern durften, dass es so ein neues Gefühl von Zusammengehören gegeben hat, direkt eine neue Freiheit. Damit hat er praktisch die Jugend gewonnen. Ich habe eine schöne Erinnerung daran, es hat uns viel Spaß gemacht. Nur am Rande hat man mitbekommen, dass der Dings drüben, weißt schon, dass sie den abgeholt und nach Dachau gebracht haben. Dann haben wir studiert) Warum kommt der jetzt nach Dachau?’Das hat man nicht gecheckt, wenn man keine Eltern gehabt hat, die es dir erzählten. Meine Mutter war nicht daran interessiert und der Vater hat immer nur gesagt, der Hitler sei der Teufel. *Haltet euch da raus!ß, hat er gesagt, „das wird einmal ein böses Ende nehmen! ß Und dann haben wir das mit der Judenverfolgung mitgekriegt, weil wir eine Tante hatten, die Jüdin war.

Die musste sich in Tegernsee zwei Jahre verstecken, damit sie nicht ins KZ kam. Ein Neffe yon mir, er war 18 Jahre, der ist nach Theresienstadt gekommen. Da haben wir uns gefragt: *Ja, wieso denn? Was haben denn die Juden verbrochen? Das waren doch in München die angesehensten Geschäftsleute!‘ Da ist man dann nachdenklicher geworden: Aha, so war das! Dann hat der Vater ja doch recht gehabt! Nach dem Attentat von 1939 wurde dem Wirt vom Bürgerbräukeller, dem Herrn Payerl, die Lizenz entzogen, was ich sehr ungerecht fand. Drei Monate haben sie ihn vorher eingesperrt und verhört.

Dann ist ein neuer Wirt gekommen, der Vorstand vom Gaststättenverband, ein ganz ein resoluter. Das war für uns, das Personal, echt furchtbar: die eine Hälfte hams übernommen, die andere nicht. Ich hätte weitermachen dürfen, aber ich hab‘ mir überlegt: Das ist doch
kein gutes Arbeitsverhältnis mehr. Ich war ja von den Payerls verwöhnt gewesen. Ich hab‘ mir also den Gesellenbrief geben lassen und bin zur Tierparkgaststätte nach Hellabrunn. Da war ich dann wirklich mit Leib und Seele dabei. Und in der Freizeit, nachmittags, bin ich hinunter in die Gehege und hab‘ mit den Tieren ein bisserl umeinandergeschmeichelt, weil eine Tierliebhaberin bin ich schon immer gewesen…

Wie es wirklich war mit dem Elser habe ich jetzt erst mitgekriegt, nach 65 Jahren. Was der
hat alles miterleben müssen, wie sie ihn schikaniert und dann noch erschossen haben, mein
Gott! Weil der war eben auch einer von denen, die es durchschaut haben, das Unheil, und
die Menschheit retten wollten. Da kann ich nur sagen: Respekt!